Schlussakkord?

Warum müssen Schlussakkorde, so dachte König Hans der Glückliche immer Akkorde sein? Warum, so überlegte er weiter, kann ein Schlussakkord nicht aus einem einzigen, aus dem Ton, jenem einen absoluten Ton gewissermaßen bestehen? Er wollte nicht einsehen, dass ein Akkord immer aus mehreren Tönen zusammengesetzt ist. Gibt es nicht den Ton, in dem alle anderen enthalten sind, fragte er sich. Ein einzelner, feiner Ton. Der Ton als eine Art schwarzes Loch?

König Hans sitzt etwas traurig und nachdenklich vor seiner Tür.König Hans der Glückliche bekam beim Nachdenken immer sehr schnell großen Appetit. Kann etwas schwingen, so überlegte er weiter, als er zu essen begann, das alles an Klang in sich aufgenommen hatte, das nur noch Stille umgab? War dem so? – Wer viel denkt, muß viel essen. Und im Verlauf nur weniger Stunden hatte er sich alles einverleibt, was sein Leben ausmachte:
seine Schlösser und Sammlungen, die Opern und die Außerirdischen, alle Träume, auch den dauerhaftesten samt Stute, Brett und Speer, das Aquarium, die Sternwarte, sein Reich und seine Schrottplätze und Ruinen, seine Gäste, Arbeitgeber, enge Freunde und jene, die vor der Zeit verschwanden, die Erinnerungen, die geträumten Gedanken und die ausgedachten Träume, das Geld, die Nachbarn, Kaninchen, die Seelen der Lebenden und der Toten, alle Festtafeln mitsamt Dekoration und natürlich den kompletten Speisefolgen, die Mondsammlung, die Gemäldesammlung, das Versäumte, die Findelkinder, jede einzelne Prinzessin und natürlich die Zeit samt Gestern, Heute und Morgen, das alltägliche Abenteuer, das Theater, die Arbeiter, die Buchstaben aller aktiven und vergangenen Sprachen, Jahreszeiten, Opern, die Streichkäsefabrik im Rahmschiff, den ganzen gewaltigen Reichtum seiner Existenz. All das verschlang er, anfänglich noch bedächtig die einzelnen Möbelstücke kauend, später immer gieriger, immer hastiger. Schließlich schluckte er gewaltige Bissen auf einmal, schlang und würgte immer mehr, stopfte immer größere Mengen an Geschichten, Wörtern, Sätzen und Satzzeichen in sich hinein. Vergaß auch die verschiedenen Tage, Wochen, Monate und Jahre nicht, ließ nicht den winzigsten Bruchteil einer Sekunde entkommen.

Anfangs betrachtete er sich in seinem hemmungslosen Mahl noch beim Essen, Schlucken und Schlingen in einem großen Spiegel. Aber irgendwann war auch der Spiegel an der Reihe und sogar das eigene Spiegelbild schien König Hans gut zu munden. Alles verschwand in ihm ohne Spur und Zeichen. Bevor er den Spiegel vertilgte, konnte er deutlich sehen, dass er trotz seines ungeheuren Hungers auch nicht einen Millimeter dicker wurde. Das war schon immer so gewesen, aber noch nie hatte er so viel auf einmal gegessen. Anfangs stieg er während der Mahlzeit immer wieder mal auf eine Waage, bevor er sich auch diese zusammen mit den Einrichtungen seiner 127 Bäder einverleibte. Doch solange er sein Gewicht mit ihr kontrollieren konnte, zeigte sie kein Gramm mehr an.

Als König Hans schließlich auch den Thron, auf dem er saß, und den nackten Boden, auf dem der Thron stand, fraß und nichts mehr da war zum Verschlingen, krümmte er sich zusammen. Und während er durch seine Nasenlöcher die Luft nur ein-, aber nicht wieder ausatmete, begann er – angefangen mit den Füßen – sich selbst zu vertilgen.

So wurde er zu einer, zu der Singularität, um die herum nichts mehr ist und die selber weniger ist als ein

Ein Molch in seiner Eizelle beißt sich in die Schwanzspitze.