Die Invasion

Ausgerechnet in jenen Tagen, als seine Prinzessin einen Schnupfen hatte und das Bett hüten musste, kamen sie um sich in der für sie so fremden Welt niederzulassen und hier zu bleiben.

Die Prinzessin liegt verschnupft im Bett.

Zum Schnupfen gesellte sich ein böser Husten, der weder sie noch ihn schlafen ließ, so dass sich König Hans, genannt der Glückliche, schließlich in die gläserne Kuppel seiner Sternwarte zurückzog um ein paar Stunden Ruhe zu finden. Deshalb dachte er auch im ersten Moment, dass er bereits eingeschlafen sei und träumen würde, als er das UFO ganz in der Nähe herabschweben sah. Ein Tagtraum, überlegte er reichlich verwirrt, obwohl es doch mitten in der Nacht war und ehe es ihm gelang, das seltsame Fluggefährt richtig in Augenschein zu nehmen, das auf den ersten Blick aussah wie ein Wal mit bizarren, leuchtenden Tentakeln anstelle der Schwanzflosse, da verschwand es auch schon in den Straßenschluchten unterhalb der Sternwarte seines Palasts.

Am kommenden Morgen dachte er nicht mehr an den merkwürdigen Vorfall, denn er hatte mit niederträchtigen Gefühlen zu kämpfen, als er die Prinzessin im Himmelbett thronen sah und neidvoll die Pralinen beobachtete, die Stück für Stück statt der vom Arzt verschriebenen Medizin in ihrem Mund verschwanden. Doch es waren nicht allein die Pralinen, die seine düstere Stimmung heraufbeschworen, sondern die Tatsache, wie sie in dem Bett saß, mit ihren Freundinnen telefonierte, während er vergrätzt seinen zahllosen Verpflichtungen und Staatsgeschäften nachkommen musste. Mittags schlich er sich deshalb inkognito aus dem Palast und ließ sich wie Strandgut mit den Menschenmengen durch die Straßen treiben.

In dem großen proletarischen Kaufhaus, das die Opposition einst für die Schulung revolutionärer Massen erbaut hatte, sah er sie wieder.

Eigentlich sah er sie zum ersten Mal, aber er wäre kein König und kein Hans und erst recht kein Glücklicher, hätte ihm sein Instinkt nicht sofort ihre Anwesenheit verraten. Es war Winterschlussverkauf und die Aliens drängelten sich in einer großen Gruppe um einen der Wühltische, auf dem bunter Tand für 99 Pfennige das Teil feilgeboten wurde. Sie unterschieden sich rein äußerlich in nichts von den übrigen Untertanen seines Reiches, so dass er beschloss der Sache nachzugehen und sich Gewissheit zu verschaffen.

Er folgte schließlich einer älteren Dame mit einem vielleicht etwas zu kecken grüngelben Hütchen auf den silbergrauen Dauerwellen in die Cafeteria des Wollwert und kam, nachdem er sie zu einer Torte eingeladen hatte, mit ihr ins Gespräch.

„Ach“, stöhnte die Dame, „meine Tochter – jetzt ist sie schon so lange verheiratet – und trotzdem will sie immer noch keine Kinder bekommen!“

Sie winkte König Hans mit einer kleinen Handbewegung etwas näher an sich heran und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern: „Dabei wäre doch die Gelegenheit so günstig! Aber ich fürchte, ich muss wohl wieder selbst ran! Ab sofort keine Höschen mehr in der Badewanne...“

König Hans starrte sie ungläubig an und schüttelte den Kopf. „Nicht wahr? Das finden Sie doch auch?“, fuhr die Dame fort, bevor sie die Kellnerin heranwinkte und noch eine Torte bestellte.

„Warum ist die Gelegenheit so günstig?“, stammelte König Hans verwirrt, höchst unschlüssig, was er von den merkwürdigen Äußerungen halten sollte.

„Vorher hat sich doch so eine Chance für junge Leute in ihrem Alter nie ergeben!“, erwiderte sie. „Wofür?“ „Na – endlich die Höschen auszuziehen...“ „...in der Badewanne!“, ergänzte König Hans ihren Satz. „Und schwanger zu werden.“ fügte sie noch kauend hinzu. „In der Badewanne,“ wiederholte König Hans. – „Natürlich! Wo sonst? Aber sie denkt nicht dran! Seit Jahren geht sie immer nur mit ihren wasserdichten Ballonhöschen in die Wanne.“ „Um nicht schwanger zu werden?“, fragte König Hans mit dem Unterton eines leichten Zweifels in der Stimme. „Genau! Sie haben’s erfasst“, murmelte sie, sah ihm aber etwas missbilligend in die Augen. Doch schon wenige Bissen später strahlte sie wieder und fuhr fort: „Dabei haben wir hier doch endlich einen Ort gefunden, wo es noch die Thermometerfischchen gibt. Millionen von Lichtjahren sind wir gereist und hier haben wir sie endlich gefunden!“

König Hans, genannt der Glückliche, war nun von eher diffusen Gefühlen erfüllt, denn er verstand jetzt überhaupt nichts mehr. „Thermometerfischchen?“ „Ach, Sie wissen ja nicht, zu was für Auswüchsen es bei einem kleinen Volk wie dem unseren wegen der Thermometerfischchen gekommen ist. Nein, ich will das nicht näher vertiefen. Sie können es sich sicher denken. Junge Menschen, die gerne Nachwuchs wollen – nicht so wie meine Tochter – und es sind kaum noch funktionierende Thermometerfischchen da –, was die alles getan haben um... Na ja, lassen wir das. Dieses unerquickliche Thema gehört jetzt zum Glück der Vergangenheit an!“

Eine Invasorentochter steht vor einem Waschzuber, mit einem Thermometerfischchen im Allerwertesten.

Ungeduldig begann sie in ihrer Handtasche zu kramen und zog schließlich eine Wollwerttüte heraus. Seitlich am Tisch vorbei hielt sie König Hans die Tüte hin, der sie nahm und sich bemühte ebenso diskret hineinzublicken. Er konnte seinen Blick auf drei kleine blaue Badewannenthermometer in Form von Plastikfischchen werfen, die neben dem Kassenbon in der Tüte lagen. „Die gibt’s nur noch hier!“, erläuterte ihm die Dame, „nur noch hier in diesem Kaufhaus. Gut – ich gebe zu, wir haben einen Tipp bekommen. Aber was meinen Sie, wie viele Tipps man uns schon gegeben hat und wir haben nichts gefunden!“ – „Und ohne diese Dinger...“, begann König Hans, „Klappt’s nicht.“, unterbrach sie ihn, „Ohne diese Dinger stirbt mein Volk irgendwann aus. Hier“, sie holte eins der Fischchen aus der Tüte, „es ist enorm wichtig, dass das Thermometer diese Markierung hier hat. Da, lesen Sie!“ Sie hielt es ihm forsch unter die Nase. „Ideal für Babies – 37 Grad“, entzifferte König Hans. „Nur wenn man ohne diese albernen Ballonhöschen mit solch einem Fischchen von Wollwert in der richtig temperierten Wanne sitzt und die Temperatur steigt langsam an, weil man heißes Wasser nachlaufen läßt, oder die Temperatur fällt allmählich auf 37°, dann – und nur dann kann man schwanger werden.“ Sorgfältig packte sie die Tüte wieder in ihre Handtasche. „Jeder von Ihnen?“, fragte König Hans. „Klar – egal ob Mann oder Frau, egal ob Jung oder Alt.“ „Und wenn die Temperatur auf 37° fällt, wird’s ein Mädchen“, spekulierte er, „und wenn sie umgekehrt auf 37° steigt, ein Junge! Woher wissen Sie?“, fragte sie, „aber es ist schon richtig. Ich sehe, Sie haben es voll und ganz begriffen.“ Die alte Dame strahlte ihn glücklich an. „Und diese Dinger“, König Hans zeigte auf die große Handtasche, in der die Thermometerfischchen zum Stückpreis von 99 Pfennig bereits wieder verstaut waren, „diese Dinger gibt’s nur hier bei uns. Nur hier.“ Sie lachte freundlich und schien nun auch satt zu sein. „Jetzt muß ich aber los!“

König Hans nickte nachdenklich und schwieg. „Herzlichen Dank für die Einladung!“ Die alte Dame stand auf. „War mir ein Vergnügen“, erwiderte König Hans und erhob sich ebenfalls. „Wissen Sie, ich hab ein nettes kleines Appartement direkt um die Ecke gefunden“, sagte sie noch, bevor sie die Cafeteria verließ. „Ich hoffe, es hat fließend warmes und kaltes Wasser und eine große Badewanne?“, rief er ihr hinterher. Sie war schon fast aus der Tür, drehte sich aber noch einmal um und lächelte. „Selbstverständlich!“, sagte sie und winkte, als sie verschwand. Nette Leute, dachte König Hans und beschloß den Invasoren Asyl zu gewähren.